Tolle Lieder ohne Noten

„Quodlibetis“ haben großen Spaß am Singen

Ihre Notenblätter haben sie allesamt im Kopf gespeichert  und das ist gut so. Schließlich würde der Papierkram wenig Sinn ergeben. Warum? Nun, weil die „Quodlibetis“, die im Rübenacher evangelischen Gemeindezentrum von Gruseln und Kettenrasseln trällern, ohnehin nicht in der Lage wären, Strophen und Oktaven zu entschlüsseln. Wer jetzt auf einen Chor von Analphabeten tippt, liegt allerdings völlig daneben. Es musizieren Kindergartenkinder, und die können zwar noch nicht lesen, dafür aber umso prächtiger singen.

RÜBENACH. „Komm, wir gruseln uns ein wenig, denn im Gruseln sind wir König“, schallt es aus den geöffneten Fenstern des evangelischen Gemeindezentrums in Rübenach hervor. Wer genauer hinhört, erhascht noch weitere Zeilen des GänsehautLiedes. Von schweren Ketten, die in Kellern rasseln, wird da gesungen und vom Grafen Kunibert, der seinen Burggästen kalte Schauer über den Rücken laufen lässt. Doch die Furcht einflößenden Strophen verlieren ihren Schrecken schnell beim ersten Anblick der Gruppe, die hier musiziert. Rund 30 Kinder, zwischen vier und sechs Jahre alt, sitzen im Stuhlkreis um Beate von Edel herum, wippen fröhlich und im Takt zur Melodie, die die Leiterin des (Klein)Kinderchors auf ihrer Gitarre anschlägt. Sie betreut eine Gruppe der „Quodlibetis“, der Kinder des Rübenacher Chors „Quodlibet“.

 

Wolfgang Fink, Beate von Edel und nicht zuletzt den Kindern macht die musikalische Zusammenarbeit riesigen Spaß. Foto: Annette G. Herrmann

Die Stimmung ist locker, fröhlich, zwanglos. Spielerisch wird an den richtigen Tönen gefeilt, die die Jungen und Mädchen nur über ihr Gehör aufnehmen. „Denn Notenblätter gibt es bei uns keine“, verrät Beate von Edel. Schließlich wären die auch ziemlich nutzlos, bei einer Klientel, die das Lesen und Schreiben erst noch lernen muss.

Der musikalischen Qualität tut dieses Manko allerdings keinerlei Abbruch. Im Gegenteil. Nicht nur der Text des Ohrwurms von Liedermacher „Ferri“ kommt den Kindern ohne Mühe auswendig über die Lippen, auch die Oktaven hat der Nachwuchschor perfekt verinnerlicht. „Das können Kinder nämlich viel schneller und leichter als Erwachsene“, weiß Beate von Edel  und demonstriert gleich, wie diese Taktik funktioniert.

„Jetzt singen wir ein neues Lied“, kündigt die Chorleiterin der Rasselbande an. „Zwei kleine Wölfe gehen nachts im Dunkeln“, singt sie dann vor. Anschließend ist die Gruppe an der Reihe. Ein, zwei Mal lässt Beate von Edel die Jungen und Mädchen die erste Liedzeile nachsprechen und später auch singen. Das gleiche Prozedere wiederholt sie Zug um Zug mit der gesamten ersten Strophe. Und nach nicht einmal zehn Minuten sitzt der komplette Refrain: „Zwei kleine Wölfe / gehen des Nachts im Dunkeln / Man hört den einen zu dem andern munkeln / warum gehen wir denn immer nur des Nachts herum / man tritt sich an den Wurzeln ja die Pfoten krumm.“ Perfekt  auch, weil die jüngsten Musiker in den Reihen des Rübenacher „Quodlibet“Chors offensichtlich auch eine gehörige Portion Talent mitbringen. Zu noch größerer Entfaltung bringt das dann  ein Stockwerk höher  Wolfgang Fink. Zur gleichen Zeit wie die Kindergarten probt der Musikpädagoge im Gemeindezentrum mit den Schulkindern. Die können natürlich schon lesen  Texte und Noten  und halten deshalb ihre Liedermappen in den Händen. Verspielt und locker geht es aber auch bei den „älteren“ Semestern zu. Dafür sorgt alleine schon Wolfgang Fink mit seiner jugendlichen Art und als begnadeter Didaktiker. Immer wieder springt Fink auch mal von seinem Klavierschemel auf, zappelt munter gestikulierend vor der Gruppe herum, motiviert auch mobil dazu, die Töne in die Höhe oder in die Tiefe zu treiben. Auf der Nase trägt er dabei auch im „Schatten“ des Gemeindesaals eine Sonnenbrille. Und cool und lässig zollt er auch sein Lob. Aber eigentlich bleibt Fink auch nichts anderes übrig. Denn als der „Kleine grüne Kaktus“, der gerade wunderbar melodisch „zugestochen“ hat, verstummt ist, ist „Super“ das einzige Prädikat, was diese Probenvorstellung des Rübenacher Kinderchors verdient.

Annette G. Herrmann Rhein Zeitung – 04.08.2005